Charité – Universitätsmedizin Berlin, Universitätsklinikum Frankfurt

NAPKON | Nationales Pandemie Kohorten Netz

Etablierung eines Netzwerks zur Erfassung qualitativ hochwertiger klinischer Phänotypisierungsdaten, einschließlich Daten zu Bioproben und Bildgebung. Das Vorhaben war eng verzahnt mit dem Aufbau der Forschungsdatenplattform, die unter anderem zur Zusammenführung der aus NAPKON generierten Daten dient.

Anhand geeigneter Kohorten können beispielsweise Langzeitfolgen infolge einer COVID-19-Erkrankung systematisch unter Einbeziehung aller Gesundheitssektoren analysiert werden. Dies gewährleistet zeit- und kosteneffiziente Ressourcennutzung bei hoher Daten- und Biomaterialqualität und zentral koordinierten Zugangsmöglichkeiten.

Mit dem Nationalen Pandemie Kohorten Netz (NAPKON) wurde ein Netzwerk etabliert, das aus grundlegenden Infrastrukturen und Kohortenplattformen besteht, die gemeinsam mit weiteren Komponenten des Netzwerks Universitätsmedizin (NUM), nicht-universitären Krankenhäusern, niedergelassenen Ärzt*innen und anderen Versorgungseinrichtungen interagierten, um eine wesentliche Grundlage für das erfolgreiche Verständnis und damit für die Bekämpfung von Pandemien am Beispiel von der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) zu schaffen.

Durch die zentrale und plattformübergreifende Infrastruktur, die aus einem Interaktions-, Epidemiologie-, Bioproben- und Integrationskern besteht, konnte eine höchstmögliche Qualität sichergestellt werden. Komplementiert wurde die Infrastruktur durch drei Kohortenplattformen (Populationsbasierte-, Hochauflösende- und Sektorenübergreifende Plattform), die sich an unterschiedlichen Zielgrößen orientierten, um auf neue pandemische Situationen übertragbar und skalierbar zu sein. Alle Aktivitäten innerhalb des Netzwerkes dienten dem Aufbau einer übergreifenden und harmonisierten Sammlung von Daten und Bioproben und bauten auf bereits bestehenden Strukturen und Vorarbeiten auf. Somit konnte in enger Zusammenarbeit mit Expert*innen aus allen Gesundheitssektoren und der Universitätsmedizin ein Netzwerk am Beispiel der aktuellen COVID-19-Pandemie aufgebaut werden, welches eine zeit- und kosteneffiziente Ressourcennutzung bei hoher Daten- und Bioprobenqualität ermöglicht. Durch eine zentrale Koordination und Zugangsmöglichkeiten konnten wissenschaftliche und versorgungsrelevante Projekte umfassend und mit sehr geringer Latenz adressiert sowie repräsentative, evidenzbasierte Erkenntnisse zu pandemiespezifischen Risikofaktoren, Krankheitsverläufen und -folgen generiert werden.

NAPKON stellt damit ein nachhaltiges, integratives und umfassendes Konzept dar, das einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen bei der Abwehr und Bewältigung von Pandemien auf Ebene der öffentlichen Gesundheitsfürsorge, im Krankenhaus- und Patient*innenmanagement sowie auf individueller Patient*innenperspektive leistet.
 

Die durch das neuartige SARS-CoV-2 Virus verursachte COVID-19-Pandemie hat zu einem weltweiten Notstand im Bereich der öffentlichen Gesundheit geführt. Gesellschaften, Gesundheitssysteme und Volkswirtschaften der betroffenen Länder werden dadurch vor eine enorme Herausforderung gestellt.

Erste Erkenntnisse über den Ausbruch, die Übertragungsdynamik und die klinischen Symptome wurden durch deutsche und internationale Konsortien gewonnen und erste klinische Studien zur Bewertung von Behandlungsstrategien, Präventivmaßnahmen und Impfungen eingeleitet, allerdings bestand die dringende Notwendigkeit einer standardisierten und gemeinsamen Forschungsaktivität im Zusammenhang mit der aktuellen Pandemie. Insbesondere waren Erkenntnisse mit besonderer Phänotypisierungstiefe aus hochqualitativer Daten- und Bioprobensammlung dringend erforderlich und bisher nur vereinzelt in lokalen, jedoch weder in nationalen, noch in internationalen Projekten adressiert. Darüber hinaus war und ist weiterhin ein nationales und dauerhaftes Pandemiemanagement zum bestmöglichen Umgang mit bekannten oder neuartigen Erregern in Deutschland von großer Bedeutung.

Um innerhalb der aktuellen Pandemie Daten und Bioproben von Patient*innen mit einer bestätigten SARS-CoV-2-Infektion einheitlich zu erfassen und somit eine Evidenzbasis für die beste Praxis im klinischen Management zu schaffen, sollte mit NAPKON eine einheitliche und dauerhafte Kohortenstruktur in das NUM integriert werden. Insbesondere vor dem Hintergrund pandemiebedingter hoher gesundheitlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Belastungen wurde deutlich, dass fundiertes Wissen benötigt wird, um eine schnelle und evidenzbasierte Entscheidungsfindung auf nationaler und regionaler Ebene sowie auf der Ebene des Krankenhaus- und Patient*innenmanagements zu ermöglichen.

Mit NAPKON wurden drei komplementäre Kohortenplattformen geschaffen, die den akuten und chronischen Verlauf von COVID-19 systematisch, modular und in Subgruppen repräsentativ abbilden. Diese Plattformen erlauben eine Zusammenführung existierender regionaler und lokaler wissenschaftlicher Daten- und Bioprobensammlungen sowie eine harmonisierte, prospektive Beobachtung von COVID-Fällen seit Herbst 2020.

Auf diese Weise wurde ein harmonisiertes, erweiterbares und nationales Netzwerk aufgebaut, das die Möglichkeit bietet, sowohl die Bekämpfung der aktuellen COVID-19-Pandemie und ihrer Folgen als auch zukünftiger Pandemien zu unterstützen. Die Etablierung eines einheitlichen Konzeptes mit Infrastrukturkernen und Kohortenplattformen (Populationsbasierte-, Hochauflösende- und Sektorenübergreifende Plattform) zur repräsentativen Erfassung detaillierter klinischer Daten und Bioproben ist dabei von großer Bedeutung, um neue Erkenntnisse zu den aktuellen Risikofaktoren und potenzielle Biomarker für Krankheitsverläufe zu generieren und eine zeitnahe Überführung der Ergebnisse in die klinische Anwendung sicherzustellen.

Die bereits bestehenden Infrastrukturen mit offenen, international anerkannten Interoperabilitätsstandards und die enge Zusammenarbeit mit dem NUM dienten als Grundlagen zur Etablierung von NAPKON, wodurch eine hohe Qualität sichergestellt und die Anforderungen der Ethik und des Datenschutzes erfüllt werden konnten. Das Plattformkonzept ermöglichte mit seinen umfassenden repräsentativen Daten- und Bioproben, einschließlich der Patient*innennachsorge aus den unterschiedlichen Bereichen der medizinischen Versorgung, eine einzigartige Grundlage für epidemiologische und molekulare Analysen zu Risikofaktoren, Verläufen, Pathomechanismen, Biomarkern, effektiven Behandlungsmaßnahmen und Krankheitsfolgen der COVID-19-Pandemie und zukünftiger Pandemien. Das nationale Netzwerk von interdisziplinären Wissenschaftler*innen ermöglicht, sowohl immunologische als auch genetische und weitere moderne Analysen durchzuführen, um wichtige Erkenntnisse auf globaler- und regionaler Ebene und der Krankenhaus- und Patient*innenmanagement Ebene zu generieren.

Bald nach Rekrutierungsbeginn standen qualitätsgesicherte Daten und Bioproben für Forschungsprojekte im Netzwerk und kooperierende Wissenschaftler*innen zur Verfügung. Die daraus gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden aus den unterschiedlichen Bereichen zusammengetragen, um kurzfristig evidenzbasierte Therapieempfehlungen zu entwickeln. Darüber hinaus wurden die neuen Erkenntnisse genutzt, um die zur Pandemiesteuerung getroffenen Maßnahmen evidenzbasiert zu reevaluieren, wodurch entsprechende Maßnahmen präzisiert und damit die direkten und indirekten Pandemiekosten reduziert werden konnten.

Globale und regionale Perspektive

Im Hinblick auf die öffentliche Gesundheit auf globaler und regionaler Ebene sollte NAPKON kurzfristig die schnellstmögliche Verfügbarkeit von hochwertigen Daten und Biomaterialien sicherstellen, um langfristig ein effizientes Handeln auf gesundheitspolitischer Ebene in Pandemiesituationen zu ermöglichen und die netzwerk-interne und internationale Zusammenarbeit zu fördern. NAPKON erlaubte im Rahmen der Daseinsvorsorge, Ressourcen des Gesundheitssystems effektiv und angemessen zur Verfügung zu stellen und dem NUM, sich in die weltweiten Bemühungen zur Pandemiebekämpfung einzubringen und somit einen relevanten Beitrag bzgl. Ursprung, Pathomechanismen, Diagnostik und Therapiemöglichkeiten des Erregers zu leisten.

Krankenhaus- und Patient*innenmanagement-Perspektive

Auf Ebene des Krankenhaus- und Patient*innenmanagements konnten mit Hilfe der generierten Daten Risikopatient*innen und vulnerable Personengruppen identifiziert und wirksame Präventivmaßnahmen, Diagnose- und Behandlungsansätze entwickelt werden. Triage- oder Scoring-Systeme trugen dazu bei, Entscheidungsprozesse in Einrichtungen der Gesundheitsversorgung zu unterstützen und die Ressourcen effizient einzusetzen. Aus gesundheitsökonomischer Sicht hilft die evidenzbasierte Kategorisierung von Risikopatient*innen, die Krankenhauskapazitäten ressourcenschonend zu nutzen, die verschiedenen Gesundheitssektoren optimiert und diagnostische und therapeutische Maßnahmen rational einzusetzen. Die Bioproben dienen beispielsweise der Entwicklung von Impfstoffen und wirksamen Therapeutika sowie der Identifizierung von Biomarkern für den Schweregrad der Infektion oder zur Medikamentenwirksamkeit, um Patient*innen bestmöglich und kosteneffizient behandeln zu können.

Patient*innen-Perspektive

Die medizinische Entscheidungsfindung ist in der Regel ein kooperativer Prozess, bei dem Patient*innen und Ärzt*innen gemeinsam eine Strategie festlegen und dabei u. a. wissenschaftliche Erkenntnisse, Erfahrungen sowie Wertvorstellungen und Präferenzen berücksichtigen. Bei einer neuen Pandemie verfügen Ärzt*innen nur bedingt über Instrumente, um individualisierte und evidenzbasierte Empfehlungen aussprechen zu können. Dies führt zu Unsicherheiten, bedroht die individuelle Gesundheit und schränkt die Autonomie der Patient*innen ein. Um Erkenntnisse für eine individualisierte Behandlung zu generieren, können die hochqualitativen und repräsentativen Daten aus NAPKON einen wertvollen Beitrag leisten.

Skalierbarkeit

Kern des Plattformkonzeptes ist eine transregionale und transsektorale qualitätsgesicherte Erfassung von Risikofaktoren, Behandlungsaspekten und gesundheitlichen Konsequenzen einer SARS-CoV-2-Infektion bzw. zukünftiger Pandemien. In den verschiedenen Plattformen entstehen universitär geführte Netzwerke unterschiedlicher Zusammensetzung, deren Größe und teilnehmenden Institutionen den jeweiligen wissenschaftlichen Fragestellungen folgen. Die unterschiedlich granulare Erfassung der Patient*innendaten und Bioproben in den einzelnen Plattformen bildet die Grundlage für Anschlussprojekte, die von der molekularbiologischen Grundlagenwissenschaft bis zur Versorgungsforschung und seelischen Gesundheit reichen, und damit den translationalen Ansatz des Gesamtprojektes widerspiegeln. Entsprechend der dynamischen Erkenntnislage in Pandemiesituationen wird durch fach- und organspezifische Arbeitsgruppen Einfluss auf die weitere Daten- und Probensammlung genommen, wobei die grundsätzliche Plattformstruktur langfristig auch für zukünftige Pandemien bestehen bleibt.

Nachhaltigkeit

Die Entwicklung der aktuellen Strukturen erfolgt zwar aus Anlass der COVID-19-Pandemie, ist jedoch auf nachfolgende Pandemien ausgerichtet. Im Sinne einer Pandemic Preparedness können die in diesem Fördervorhaben etablierten, pathogenunabhängigen Strukturen bei künftigen Pandemien schnell und kosteneffizient angepasst werden. Ein wichtiger Aspekt der Nachhaltigkeit ist dabei die Trennung der wissenschaftlichen von der wirtschaftlichen oder gesundheitspolitischen Verwertung der Ergebnisse durch ein etabliertes Datenlizenzmodell. Die Verwertung des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnes folgt dabei der dezentralen wissenschaftlichen Expertise der einzelnen Standorte und Netzwerkpartner*innen, während die versorgungsrelevanten Erkenntnisse zur weiteren Pandemiesteuerung von zentraler Bedeutung sind und in Echtzeit den entsprechenden Entscheidungsträger*innen im Gesundheitssystem weitergeleitet werden können.

Das Nationale Pandemie Kohorten Netz (NAPKON) hat zur medizinischen Bewältigung der Pandemie eine Kooperation von bislang 35 Universitätskliniken, 18 Kliniken sowie 16 Arztpraxen aufgebaut, die deutschlandweit einmalig ist – und weiterhin wächst. Ziel war es auch, ein zukunftsfähiges Netzwerk zu etablieren, das im Fall künftiger medizinischer Herausforderungen zügig fach- und standortübergreifend zusammenarbeiten kann. Rund 1.500 Menschen (mehrheitlich Ärzt*innen, Studienkoordinator*innen und Wissenschaftler*innen, jedoch auch weitere Berufsgruppen) wirkten bei NAPKON mit, stellten ihre Expertise zur Verfügung, gestalteten das Projekt und sorgten für einen sicheren Ablauf der Studie. Dafür wurden demokratische Beteiligungsprozesse etabliert, die eine lebendige Teamarbeit erlaubten.

Inhaltlich wurde ein Konzept erstellt, das die Erkrankung COVID-19 aus verschiedenen Blickwinkeln erforscht. In drei Kohorten unterschiedlicher Rekrutierungskriterien ermöglichen mehr als 4.600 Patient*innen (Stand: Januar 2022) mit ihren Daten die Erforschung der Akut- und Langzeitfolgen in der Studie. Diese multidimensionale Form der klinischen Erforschung von COVID-19 wird weltweit in nur wenigen Studien umgesetzt.

Für die komplexe Umsetzung der Datenhaltung innerhalb von NAPKON hat das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) sein Know-how eingebracht und seine Forschungsplattform zur Verfügung gestellt, mit der klinische Daten, diagnostische Bilder und Bioproben von Patient*innen einheitlich erfasst werden können.

Um ein gemeinsames Ganzes zu erzeugen, wurden u.a. folgende konkrete Arbeitsschritte unternommen und Anforderungen gelöst:

  • organisatorische Grundlagen erarbeitet und verabschiedet (wie Geschäfts-, Nutzungs- und Publikationsordnung)
  • standardisierte Abläufe der Untersuchungen von Patient*innen verfasst und eingerichtet
  • eine strukturierte Datenerhebung unter strikter Einhaltung des Datenschutzes erzeugt, die mit Hilfe von einheitlich verfassten Standardbedienungsanweisungen, Handbüchern, Schulungen und Lehrvideos umgesetzt wird
  • gemeinsamer Datensatz auf Basis des GECCO-83 Datensatzes in Zusammenarbeit mit dem GECCO-Team etabliert und weiterentwickelt
  • internationale Codierungen verwendet und erweitert, um die Daten national und international anschlussfähig und vergleichbar zu machen
  • Verarbeitung und Lagerung von Bioproben vereinheitlicht, Aufbau einer harmonisierten Biobankplattform
  • eine technische Interaktionsplattform für alle im Projekt organisierten Personen mit umfassenden Services zu Organisation, Diskussion und Zusammenarbeit entwickelt und eingerichtet
  • Website aufgebaut, die über Forschungsprojekte aus NAPKON-Daten informiert und es Wissenschaftler*innen ermöglicht, Daten und Bioproben von NAPKON zu beantragen.
  • die Studie kontinuierlich erweitert und den epidemiologischen Entwicklungen angepasst (Pädiatrie- und Neurologiemodul hinzugefügt)

Mit NAPKON ist ein Netzwerk von Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen der verschiedenen Fachrichtungen und Versorgungsebenen entstanden, das es in dieser Form in der Geschichte der Bundesrepublik bislang noch nie gab – und das für die Zukunft eine gemeinsame medizinische Handlungsfähigkeit bereitstellt.

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