Über das Projekt

Medizinische Empfehlungen stützen sich auf hochwertige Evidenz, die idealerweise durch randomisierte kontrollierte Studien (RCT) generiert wird. Um ausreichend Daten zur Beurteilung einer Therapie zu sammeln, wird bisher in der Regel für jeden neuen Therapieansatz auch ein neuer RCT aufgesetzt. Dieses Vorgehen ist mit langen Umsetzungszeiten, hohen Kosten und mangelnder Flexibilität verbunden. Adaptive Plattformstudien gelten als praktikable Lösung für die oben genannten Probleme, insbesondere wenn auf dem entsprechenden Gebiet rasch neue Evidenz generiert wird, z.B. im Rahmen einer Pandemie. Mit NAPKON-TIP soll eine Infrastruktur für adaptive klinische Plattformstudien in Deutschland aufgebaut werden. Unter Nutzung von dem in NAPKON (Nationales Pandemie Kohorten Netz) aufgebauten Rekrutierungsnetzwerk sowie der NUKLEUS (NUM Klinische Epidemiologie und Studien Plattform) Infrastruktur, sollen Erfolgskonzepte aus bereits international erfolgreichen Studienplattformen integriert und an den rechtlichen nationalen Kontext (Regulatorik, Datenschutz) im Netzwerk Universitätsmedizin (NUM) angepasst werden.

Das wichtigste im Überblick

Im Rahmen der COVID 19 Pandemie wurde die Studienlandschaft in Deutschland stark gefordert und auch kritisch hinterfragt. Im internationalen Vergleich wurde deutlich, dass Deutschland im Vergleich zu bspw. Frankreich und dem Vereinten Königreich deutlich weniger klinische Studien und vor allem adaptive Plattformstudien zu COVID19 durchgeführt hat. Diesbezüglich fällt auf, dass es in Deutschland an einer zentralen Koordination für Studien nationaler Bedeutung im Infektionsbereich, wie auch an übergreifenden Infrastrukturen für adaptive Plattformstudien mangelt. Um den Herausforderungen der aktuellen und zukünftigen Pandemien sowie aktuellen Forschungsfragen mit hohem medizinischem Anspruch gewachsen zu sein, braucht es ein Netzwerk, das die Fähigkeiten der Universitätsmedizin rasch auf die besonders dringlichen und wichtigen Aufgaben fokussieren und komplexe klinische Studien selbst durchführen kann. Ziel des Projektes ist daher, basierend auf den im Nationalen Pandemie Kohorten Netz (NAPKON) aufgebauten Rekrutierungsnetzwerk und den NUM-Infrastrukturen, insbesondere der NUM Klinischen Epidemiologie und Studien Plattform (NUKLEUS) eine Therapeutische Interventionsplattform (NAPKON-TIP) zu etablieren und deren Leistungsfähigkeit an einer konkreten Studie zu demonstrieren. Im Erfolgsfall strebt NAPKON-TIP an, als Teil der NUM Infrastruktur dem NUM und externen Parteien die notwendigen Dienstleistungen zur Durchführung von adaptiven Plattformstudien zur Verfügung zu stellen.

In NAPKON-TIP werden unabhängig vom ersten Anwendungsfall Therapiestudien geplant, in denen Medikamente, Geräte/Software (Medizinprodukte) und nicht-pharmakologische Interventionen geprüft werden sollen. Dabei ist eine Stratifizierung der Patient:innen auf Grundlage einzelner Marker oder einer Kombination aus klinischen Profilen, Biomarkern, bildgebenden Markern und psychometrischen Daten vorgesehen. Dafür fließen auch durch digitale Gesundheitsanwendungen erfasste Daten ein. Um mit den verfügbaren Daten und digitalen Informationen kontinuierliche Anpassungen der klinischen Studien an den neuesten Wissensstand zu ermöglichen (Prinzip der adaptiven Studie), sind regelmäßige Zwischenanalysen und mathematische Modellierungen erforderlich. In strukturierten Arbeitsgruppen - organisiert in klar definierten Arbeitspaketen - sollen Masterprotokolle und Routinen entwickelt werden, die zwischen den Arbeitsgruppen regelmäßig kommuniziert und vor allem harmoniert werden müssen.

Koordiniert von einem interdisziplinären Lenkungsausschuss, wird NAPKON-TIP zunächst notwendige organisatorische und strukturelle Voraussetzungen für die Durchführung von klinischen Prüfungen nach AMG und MPG, insbesondere unter dem Aspekt adaptiver Plattformstudien schaffen und deren Leistungsfähigkeiten an einer konkreten Studie, dem ersten Use Case, demonstrieren. NAPKON-TIP umfasst sechs Arbeitspakete (engl. Work packages WP). WP 1 beinhaltet das übergreifende Projektmanagement, welches sich mit der Leitung und Kommunikation auf Gesamtprojektebene befasst und die Einpassung von NAPKON-TIP in die existierenden Strukturen von NUKLEUS, NAPKON und NUM entwickelt. WP 2 wird eine Infrastruktur zur kontinuierlichen Identifizierung und Priorisierung dringender Forschungsfragen entwickeln und umsetzen. Für die Anpassung von klinischen Studien an den neuesten Wissensstand (Prinzip der adaptiven Studie), müssen therapeutische Strategien ständig überarbeitet werden. WP 3 hat daher die fortlaufende Stratifizierung anhand einzelner Marker oder einer Kombination aus klinischen Profilen, Biomarkern, bildgebenden Markern und psychometrischen Daten zum Ziel. In WP 4 sollen ethische und regulatorische Aspekte im Zusammenhang mit Plattformstudien erleichtert und beschleunigt werden, während in WP 5 eine vollständige Service-Infrastruktur für die Durchführung adaptiver Studien aufgebaut wird. WP 7 komplettiert das Projektvorhaben und entwickelt Rekrutierungsstrategien für schwer zugängliche Studienpopulationen aus Notfall-, Intensiv- und Allgemeinmedizin.

Durch die adaptive Struktur erwarten wir folgende Vorteile gegenüber einem klassischen Studiendesign:

  • beschleunigte Bewertung und Umsetzung der Grundlagenforschung in die klinische Praxis bezüglich der Stratifizierungsmarker, Interventionen und Ergebnisse
  • Vorteile für die an der Plattformstudie teilnehmenden Patient:innen, die direkt von den in der Studie vorgesehenen Behandlungen profitieren
  • schnelle Übertragbarkeit von zügig gewonnenen Ergebnissen zur Sicherheit und Wirksamkeit einer Behandlung auf einer generalisierten Ebene auf alle in die Studie eingebundenen Patient:innen

Methodisch hochwertige und ausreichend große klinische Studien sind eine notwendige Bedingung, um klinische Evidenz zu generieren, Leitlinien zu erstellen bzw. zu beeinflussen, um das Behandlungsergebnis für Patient:innen zu verbessern. Durch NAPKON-TIP erhält das NUM die Möglichkeit, praxisverändernde klinische Prüfungen national auszurollen und damit eine Schlüsselinfrastruktur für die Revitalisierung der klinischen Studienlandschaft in Deutschland anzubieten.

Menschen im NUM

Sonja Drescher, MSc
„Durch meine Mitarbeit im NUM kann ich einen Beitrag zur kontinuierlichen Weiterentwicklung hochwertiger klinischer Forschung leisten.“
Sonja Drescher, MSc
zum Interview

Highlights

Studie zu Behandlungsoptionen beim post COVID Syndrom

Der erste Anwendungsfall RAPID_REVIVE (Randomized adaptive assessment of post-COVID syndrome treatments_Reducing Inflammatory Activity in Patients with post COVID syndrome) ist eine adaptive Studie zu einer Behandlungsoption des post-COVID Syndroms und wird voraussichtlich im dritten Quartal 2024 mit der Rekrutierung beginnen.